Page 5 - Langenthaler Zeitung - KW 2 - 2022
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DIENSTAG, 11. JANUAR 2022 SEITE 5
«Queer – Vielfalt ist unsere Natur» Zeitreise auf dem Kopf
erhält den Prix Expo 2021 Das Kunsthaus Langenthal zeigt ab
dem 12. Februar 2022 Werke von
Die Ausstellung «Queer – Vielfalt ist Ruedi Bechtler «Zeitreise auf dem
unsere Natur» im Naturhistorischen Kopf – Arbeiten 1972 – 2021» sowie
Museum Bern erhält den Prix Expo von Franziska Baumgartner «Bis sich
2021 der Akademie der Naturwissen- Blasen bilden».
schaften Schweiz. Geschickt span-
nen die Ausstellungsmacherinnen Seit den 1960er-Jahren schafft Ruedi
und -macher den Bogen zwischen Na- Bechtler (*1942) ein auf seine Art kom-
tur und Kultur Gesellschaft und zie- promissloses Werk, das u.a. Tusch-
hen die Besuchenden in eine Feier der zeichnungen, Fotografien, Holzobjekte,
Vielfalt der Geschlechter, bei der es partizipative Installationen, Brun-
viel zu entdecken gibt. nenobjekte, Lichtobjekte und Fund-
gegenstands-Assemblagen umfasst.
Wie die Ausstellung ein sensibles und ge- Mit höchst ungewöhnlichen Ansätzen
sellschaftlich äusserst relevantes Thema holt er die Kunst vom hohen Ross zu
umfangreich, informativ, vielfältig und Bild: NMBE/ Rodriguez den Menschen, lässt sie teilhaben am
feinfühlig in eine starke und mutige Sze- Die Ausstellung Queer – Vielfalt ist unsere Na- Prozess des Entstehens. Ruedi Becht- Bild: Franziska Baumgartner, Courtesy of the Artist
nogafie setzt, und dies mit Einbezug tur» im Naturhistorischen Museum Bern erhält ler zeigt sich als Künstler, der mit ex- Franziska Baumgartner, in vitro, 2021, Installa-
ganz verschiedener Menschen und de- den Prix Expo 2021. Sie ist noch bis im März perimentellen Ansätzen in der Kunst tionsansicht Kunsthaus Grenchen.
ren Erleben, überzeugte die Jury Prix 2023 zu sehen. vertraut ist und der sich mit aktuellen
Expo. Die Ausstellung ist mutig insze- Themen wie der Krise der Ökologie aus- blikation (erscheint bei Scheidegger
niert, weil sie umfassend argumentiert haben – und uns bestärkten, dass es sich einandersetzt, aber auch mit der Rolle & Spiess) ermöglicht. Die Ausstellung
und erleben lässt, dass es eine ‹Norm› lohnt, den Kurs zu halten. Diese Men- der Kunst als soziale Komponente. Als wird von Michael Hiltbrunner gastkura-
für eine menschliche sexuelle Orientie- schen sehen sich mit viel grösseren Wi- Künstler und Förderer hat er sich in In- tiert.
rung nicht gibt, und dass eine moderne derständen konfrontiert. Ihr Mut hat uns stitutionen wie dem Kunsthaus Zürich
Gesellschaft die menschliche Vielfalt an selbst mutig gemacht.» oder der F+F Schule für Kunst und De- Franziska Baumgartner (*1987) künst-
Geschlechtsidentitäten als Bereicherung sign engagiert. In den letzten Jahren lerische Praxis entspringt dem experi-
empfinden, tolerieren und feiern sollte. Aufgrund des anhaltenden Publikumsin- wurde sein Archiv aufgearbeitet, was mentellen Umgang mit flüchtigen und
teresses und der Auszeichnung wird die nun diesen ersten umfassenden Über- veränderlichen Materialien technischen
«Queer»-Ausstellungkurator Simon Ausstellung bis am 19. März 2023 ver- blick in der Ausstellung und einer Pu- und alltagsnahen Ursprungs. Ihr Inte-
Jäggi: «Wir Ausstellungsmachenden ha- längert. resse gilt deren Eigenschaften wie Ma-
ben «Queer» in einem für naturwissen- pd gnetismus, Leit- oder Bindefähigkeit,
schaftliche Ausstellungen ungewöhnlich aber auch der Transformation von Le-
starken Spannungsfeld konzipiert– zu- Wie engagiert die Naturmuseen der bensmitteln durch Kulturtechniken wie
mindest empfanden wir dies so. Holen Schweiz arbeiten, zeigte sich 2021 er- der Fermentation oder Molekularküche.
wir die Besuchenden ab, die eine grosse neut: 17 Ausstellungen wurden für den In den daraus entstehenden Installatio-
Distanz zum Thema haben? Riskieren diesjährigen Prix Expo eingereicht, so nen, Sound- und Videoarbeiten kombi-
wir empörte Besuchende? Und können viele wie noch nie. Die Jury Prix Expo be- niert sie analoge und digitale, zufallsba-
sich gleichzeitig auch queere Menschen urteilte viele als qualitativ hochstehend sierte und präzise gesteuerte Mittel der
mit der Ausstellung identifizieren? und nahm – neben «Queer» – zwei wei- Bild- und Klangerzeugung. Das Kunst-
Gleichzeitig bereitete uns der Prozess tere Ausstellungen in die engere Aus- haus Langenthal zeigt ihre erste institu-
viel Vergnügen. Erstens, weil unsere wahl: «Naturfundbüro» des Naturmu- tionelle Einzelausstellung, wofür Baum-
Gruppe enorm gut funktionierte. Zwei- seums Winterthur und «Erde am Limit» gartner eine neue ortsspezifische Arbeit
tens, weil das Thema eine Sogwirkung des Naturhistorischen Museums Basel. Bild: Ruedi Bechtler, Courtesy of the Artist entwickelt.
auf uns ausübte. Wir stiessen immer tie- Mit dem Prix Expo zeichnet die Akademie Ruedi Bechtler, Drehkreis Baum USA, digital
fer vor – angetrieben und beglückt von der Naturwissenschaften jährlich die bearbeitete Fotografie, 2014 pd
Entdeckungen und Erkenntnissen. Im- beste naturwissenschaftliche Ausstel-
mer mehr lösten sich unsere Zweifel auf lung aus, welche die Faszination der Na-
und wurden ersetzt durch den Glauben, tur und der Naturwissenschaften einem ANZEIGE
dass sich unsere Freude auf die Besu- breiten Publikum in der Schweiz fachlich
chenden übertragen würde. Hervorhe- kompetent und erlebnisorientiert ver-
ben möchte ich zudem die enge Koopera- mittelt. Der Preis ist mit 10'000 Franken
tion mit queeren Menschen, die uns ihr dotiert. Die Preisverleihung erfolgt 2022.
Fachwissen und ihr Vertrauen geschenkt
Gabriele Münter –
Pionierin der Moderne
Das Zentrum Paul Klee zeigt vom
29. Januar bis 8. Mai 2022 die erste
umfassende Retrospektive zu von Ga-
briele Münter (1877 – 1962), Mitbe-
gründerin des Blauen Reiter und be-
deutende Künstlerin des deutschen
Expressionismus. Neben Gemälden,
Drucken und Zeichnungen wird auch
ein Teil ihres fotografischen Werks zu
sehen sein.
Als Mitgründerin der legendären
Künstlergruppe «Der Blaue Reiter» Bild: © 2021, ProLitteris, Zürich
zählt Gabriele Münter zu den bedeu- Gabriele Münter, «Dorfstrasse im Winter», 1911,
tendsten Künstlerinnen des deutschen Öl auf Pappe auf Holz, 53 x 70 cm, Städtische
Expressionismus und gilt als Wegbe- Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau Mün-
reiterin der modernen Kunst. In einer chen, Gabriele Münter Stiftung 1957
von Männern dominierten Berufswelt
hat sie über sechs Jahrzehnte ein äus- Drucken auch einen Teil ihres rund
serst facettenreiches Oeuvre geschaf- 1200 Objekte umfassenden fotografi-
fen und eine eigenständige, kraftvolles schen Werks, das ihre frühen Reisen
Bildsprache entwickelt. In der ers- nach Amerika und Tunesien und ihre
ten umfassenden Retrospektive in der Aufenthalte in Frankreich dokumen-
Schweiz zeigt das Zentrum Paul Klee tiert.
neben Gemälden, Zeichnungen und pd