Page 3 - Burgdorfer Zeitung - KW 37 - 2021
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DIENSTAG, 14. SEPTEMBER 2021 SEITE 3
FORTSETZUNG
Durchgehend zu erkennen ist
das für die Barockbaukunst ty-
pische Symmetriebedürfnis, Mit spitzer Feder …
wobei sich wiederum genau hier
auch ein markanter Bruch be-
merkbar macht: Der alles über- Abrechnung
ragenden Bergfried aus mittel-
alterlicher Zeit, der als weit in
die Vergangenheit zurückrei- mit dem Gender-
chendes Machtsymbol beibehal-
ten und geschickt in den baro- sternchen ***
cken Neubau integriert worden
ist, steht nicht von allen Seiten
her betrachtet im Zentrum der Liebe Leser*innen und weitere enhäuser wie SRF, politische Par-
Anlage. Während die Symme- Geschöpfe, teien (SP und Grüne) und auch
trie mit Blick auf die Ost- und gewisse Firmen den Genderstern
Westfassade stimmt, wird dieser Unsere Bundeskanzlei hat gerade oder ähnliche Zeichen. Die Trans-
auf der Nord- und Südseite ein das Gendersternchen geprüft. gendertruppe ist natürlich scho-
Schnippchen geschlagen. Zur Erinnerung: Das * wird gerne ckiert ab der neuen Weisung, die
Bild: CR
als Instrument einer geschlech- ja so verletzend und widersprüch-
Wie wird das Jubiläum gefeiert, «Wahrhaft fantastisch! 300 Jahre Barockschloss»: Im Zentrum der Saison tergerechten oder genderneu- lich ist.
welche speziellen Erlebnisse steht das dreisprachig konzipierte Jubiläumsspektakel, das als Ausstel- tralen Sprache eingesetzt. Man Das Verwenden von Binnen-,
bieten Sie den Besucherinnen lungsparcours im ganzen Schloss angelegt ist – mit lebensgrossen, dreidi- schreibt (und sagt) nicht mehr Unterstrichen und Genderstern-
und Besuchern? mensionalen Papierfigurinen der international tätigen belgischen Künstle- Leser oder Leserin, sondern Le- chen sollen für die sprachliche
Murielle Schlup: Es wird zu- rin und Designerin Isabelle de Borchgraave. ser*in (Singular) oder Leser*in- Gleichberechtigung der Frauen
sammen mit dem Publikum, der nen (Plural). In der gesproche- sorgen. Dabei führt die sadis-
Öffentlichkeit gefeiert. Im Zent- das die Besuchenden in längst Wie viele Besucherinnen und nen Sprache wird das Gender- tische Symbolpolitik nur zu im-
rum der Saison voller Erlebnis- vergangene Zeiten eintau- Besucher haben Sie unter nor- sternchen gelegentlich durch die mer neuen Verschlimmbesserun-
sen und Attraktionen für Gross chen lässt. Das Schlossgebäude malen Umständen und was er- sogenannte Gender-Pause reali- gen. Und als aufgeschlossene
und Klein steht das dreisprachig wurde im Innern zwischen warten Sie in dieser Saison? siert: Leser [Pause] innen. Im Vor- Journalistin nervt es mich ein-
konzipierte Jubiläumsspekta- 1912 und 1916 unter dem letz- Murielle Schlup: In Jahren mit wort des Leitfadens des Bundes fach gewaltig. Damit wird mein
kel «Wahrhaft fantastisch! 300 ten privaten Schlossbesitzer Ar- Sonderausstellung – alle zwei zum geschlechtergerechten For- feines Sprachgefühl malträtiert
Jahre Barockschloss», das als thur von Stürler im Stil des 18. Jahre findet eine statt – und mulieren im Deutschen schreibt und vergewaltigt! Kurz und bün-
Ausstellungsparcours im gan- Jahrhunderts – und damit pas- daher mehr Aktivitäten, Pro- die Bundeskanzlerin Corina Ca- dig: Das ist einfach nur Sprach-
zen Schloss angelegt ist. Hinzu send zum barocken Schlossge- gramm und Besucherfrequenz sanova: «Mit sprachlichen Knack- verhunzung pur. Ich habe daher
kommen zahlreiche kulturelle bäude – umfassend restauriert. sind es durchschnittlich rund nüssen befasst sich dieser Leitfa- drei Vorschläge. Zum ersten die
Veranstaltungen sowie aufs Ju- Das Interieur ist mit Edelmobi- 80’0000 Besuchende im ganz- den, den Sie in den Händen hal- Doppelnennung als eindeutigste
biläum hin konzipierte Vermitt- liar, Gemälden und Kunsthand- jährig kostenlos zugänglichen ten. Er gibt Hilfestellungen für all Form der geschlechtergerechten
lungsangebote für private Grup- werk aus dem 18. und frühen Schlosspark und rund 8'000 im die Fälle, in denen geschlechter- Sprache – und als höflichste: Le-
pen, Familien und Schulklas- 19. Jahrhundert eingerichtet eintrittspflichtigen Schlossmu- gerechtes Formulieren nicht so serinnen und Leser, Bäuerinnen
sen. Ergänzende Geschichten und vermittelt einen Eindruck, seum. Es ist von Mitte Mai bis einfach ist.» und Bauern. Dann gibt es eine
und Überraschungen bietet die wie es in der Vergangenheit be- Mitte Oktober nachmittags ge- Sie sind sprachlos?! Aber warum bunte Palette grammatischer Er-
Kabinettausstellung «300 Jahre wohnt und «belebt» worden ist. öffnet. In Jahren ohne Sonder- denn: Es geht um geschlechter- satzformen wie substantivierte
– 30 Objekte. Schätze und Trou- Die Besuchenden bewegen sich ausstellung reduziert sich diese neutrale Kommunikation, die un- Partizipien oder Adjektive (der/die
vaillen der Sammlung». von Raum zu Raum mit dem Zahl im Museum um bis zu sere Sprache vielfältiger machen Bevollmächtigte, die Teilnehmen-
Gefühl, dass die Herrin oder einem Drittel. Für 2021 sieht es soll, was sich bei geschriebenen den, der/die Kranken . . .), oder
Was zeigt die Sonder- und Jubi- der Diener in jedem Moment derzeit sehr gut aus. Wir hoffen, Texten bereits abzeichnet. Denn man greift zu Sach- statt Perso-
läumsausstellung? auftauchen könnte. Beeindru- dass wir unseren bisherigen Re- neben dem * wird ja noch der Un- nenbezeichnungen (Quelle statt
Murielle Schlup: Sie ist eine ckend ist die umfangreichste kord von 10’000 Besuchenden terstrich (Leser_innen), der Dop- Informant, Fachkraft statt Fach-
unterhaltsame Reise in die Ver- Ausstellung an prunkvollen knacken werden. Einen Strich pelpunkt (Leser:innen), der Me- mann, Leitung statt Leiter), ver-
gangenheit und haucht dem Schweizer Kachelöfen aus den durch die Rechnung könnten diopunkt (Leser·innen) und die wendet generische Personenbe-
Schloss und seiner Geschichte 18. Jahrhundert und das Edel- uns einzig die pandemiebedingt Binnenmajuskel (LeserInnen) ver- zeichnungen (Mensch, Person,
«neues altes» Leben» ein. Die mobiliar und Kunsthandwerk deutlich geringere Dichte an ge- wendet. Letztere ist aber in Ver- Mitglied) oder bedient sich einer
Schau thematisiert und insze- der Berner Ebenistenwerkstät- buchten Führungen für private ruf geraten, weil sie einem gene- erklärenden Klammerkonstruk-
niert – schwankend zwischen ten Funk und Hopfengärtner Gruppen und Schulklassen ma- rischen Femininum gleichkommt: tion: Wir suchen Maler (m/w/d).
Wahrheit und Fantasie – die sowie die grösste Sammlung an chen. Männer dürfen sich mitgemeint Wenn all das nicht funktioniert,
Zeit des barocken Um- und Er- bernischen Porträts. fühlen, doch wie sieht es mit der bleibt immer noch die Schräg-
weiterungsbaus der Schlossan- Haben Sie besondere Pläne für (verbalen) Integration von nonbi- strichlösung: Schülerinnen/Schü-
lage ab 1720 unter dem illustren Ein besonderes Bijou ist der die nächsten Jahre? nären oder intersexuellen Men- ler, Lehrer/-in, alle Bewerber/-in-
Patrizier und späteren Berner Park. Was bietet er den Besu- Murielle Schlup: Der Fundus schen aus? nen. Und das Problem ist für al-
Schultheissen Albrecht Fried- chern? an Ideen geht nie aus, ja rei- lem aus der Welt geschaffen.
rich von Erlach. Auch seine Fa- Murielle Schlup: In erster Linie chert sich stets neu an. Aber Texte der Bundeskanzlei dür- Doch der Leitfaden für ge-
milie, vor allem sein eigenwilli- viel Raum zur Erholung sowie wir werden nach diesen äus- fen (Gott sei Dank) keine typo- schlechtergerechte Sprache wird
ger, mächtiger und reicher Va- zum Flanieren, Staunen und serst intensiven und aufwendi- grafischen Gender-Schreibwei- bis Ende 2021 überabeitet. Das
ter Hieronymus von Erlach, Verweilen. Während des Spa- geren Jahren sicher einen Gang sen enthalten. Kurz und bündig: Gestürm ist also vorprogram-
spielt eine tragende Rolle – im ziergangs rund um das Schloss runterschalten und unseren Die Bundeskanzlei sagt nein zum miert und über das Gendern in
wahrsten Sinne des Wortes: Die herum gelangt man etwa vor- Blick sowie unseren Aktions- Gendersternchen und trifft meiner der deutschen Sprache wird wohl
audiovisuelle Ausstellung auf bei an den ältesten und grös- radius temporär wieder stärker Meinung nach, eine neue vernünf- noch viel gestritten! Damit wird die
drei Geschossen ist in 13 dia- sen Platanen im Kanton Bern, gegen innen richten. Das be- tige Regelung. Die Bundeskanzlei (angebliche) Diskriminierung nur
logische Szenen gegliedert, die drei lauschigen Springbrun- deutet, dass wir uns wieder ver- argumentiert unter anderem be- noch schlimmer gemacht und ein
mit lebensgrossen, dreidimen- nen, einer Orangerie, einem mehrt den ebenfalls wichtigen stehe Unklarheiten, wer mit dem Problem hochstilisiert, wo keines
sionalen Papierfigurinen der Pavillon, einem Karpfenteich, und spannenden, aber weniger Zeichen wie Stern, Doppelpunkt ist. Denn die Beschränkung auf
international tätigen belgischen einer Apfelbaumplantage und öffentlichkeitswirksamen Hin- oder Underscore genau gemeint die männliche Schreibweise ent-
Künstlerin und Designerin Isa- einem ehemaligen Waschhaus, tergrund- und Grundlagearbei- sei. Dies könne zu Rechtsunsi- springt einzig meinem Verständ-
belle de Borchgraave animiert das heute das Schlosscafé mit ten widmen werden. So beher- cherheiten führen. Ebenso seien nis von Leserlichkeit und ist in kei-
sind. Alleine diese sensationel- dem besten Kuchensortiment bergt Schloss Jegenstorf bei- die Zeichen mehrdeutig. So ner Weise ein Angriff auf das Ge-
len Kunstwerke sind einen Aus- weit und breit beherbergt. Der spielsweise eine bedeutende, werde der Stern auch als Zensur schlecht, die Geschlechtsidenti-
stellungsbesuch wert. Park bietet aber auch eine umfangreiche Sammlung, die benutzt. Und das wichtigste Ar- tät oder die sexuelle Orientierung.
einmalige Kulisse für private gehegt und gepflegt sein soll. Sie gument überhaupt: Gendersterne PS. Das Gendersternchen hat
Wieso lohnt es sich auch die und öffentliche Veranstaltun- ist das Herzstück des Schloss- seien zusammen mit ähnlichen übrigens in der Schule nichts zu
Dauerausstellung zu besu- gen wie Konzerte, Märkte, Pé- museums und ermöglicht im- Zeichen «Vorwiegend Ausdruck suchen. Geschlechterneutrale
chen? tanqueturniere, Hochzeiten, mer wieder neue Inszenierun- einer bestimmten gesellschafts- Sprache sorgt mehr für Ausgren-
Murielle Schlup: Schloss Je- das Freilichttheater und das gen dessen «Innenlebens» und politischen Haltung». Denn in der zung als für Gleichstellung!
genstorf beherbergt bewusst Openair-Kino. Zudem erfreut dessen Geschichte. Schweiz bestehe das «dritte Ge-
keine statische Dauerausstel- er die Besuchenden mit seinen schlecht» rechtlich noch nicht. Al- Herzlichst,
lung im eigentlichen Sinne, exklusiven Kulinarikerzeugnis- Interview: Corinne Remund lerdings verwenden bereits– wer Ihre Corinne Remund
sondern es bietet ein visuelles, sen wie Obstbrände und Apfel- hätte das gedacht – grosse Medi- Verlagsredaktorin
«begehbares» Schlosserlebnis, schaumwein. www.schloss-jegenstorf.ch