Page 9 - Burgdorfer Zeitung - KW 19 - 2021
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DIENSTAG, 11. MAI 2021 SEITE 9
Es ist Zeit für eine Agrarwende ANZEIGE
Als ich 25 Jahre alt war und von
einem Alpeinsatz ins Tal zurück-
kam, wollte ich Bauer werden.
Ich hätte mein Biologiestudium
um ein Haar an den Nagel ge-
hängt. Zwei Gründe haben mich
davon abgehalten: Ich hätte
kaum einen Hof gefunden und
ich wollte mich nicht einem un-
fairen Subventionssystem und
Preisgefüge ausliefern.
Von der heutigen Agrarpoli-
tik und den Lebensmittelprei- Bilder: © Kurt Eichenberger
sen profitiert in erster Linie, Wo intensiver Acker-, Gemüse oder Weinbau betrieben wird, hinterlassen wir
wer mehr und schneller produ- unseren Kindern Pestizide im Wasser.
ziert und wer bedenkenlos und
möglichst billig konsumiert. Das bau betrieben wird, hinterlassen
geht aber nur unter Einsatz von wir unseren Kindern Pestizide
Dünger, Futtermitteln oder Pes- im Wasser. Eine Zeitbombe!
tiziden. Und da landet man im Selbst bei den besten Zulassun-
Schoss der Agrochemie und der gen und Kontrollen würde heute
Industrie. International ist die niemand die Verantwortung für
Schweizer Landwirtschaft eine über 300 Pestizide und deren
der intensivsten und am stärks- mögliche Auswirkungen über-
ten verschuldeten Agrarwirt- nehmen.
schaften. Es ist Zeit für eine Agrarwende.
Wir mästen und essen in der Es gibt überzeugende Alterna-
Schweiz nicht nur viel zu viele tiven. Konsumenten, Bauern,
Tiere, wir «mästen» damit auch Politik und Handel – alle stehen
die ganze Natur durch Ammo- in der Pflicht. Wasser ist heilig,
niak aus Gülle über die Luft. Ar- der Boden unsere Lebensgrund-
tensterben oder instabilere Wäl- lage. Deshalb sage ich 2 x Ja für
der sind die Folge. Und wo inten- die Trinkwasser- und die Pesti- Kurt Eichenberger,
siver Acker-, Gemüse oder Wein- zidinitiative. Geschäftsleiter WWF Bern
FORTSETZUNG INTERVIEW MIT MARCEL TANNER
Das hat man in früheren Zeiten, tisch zur Wohnung raus kann solchen Situation. Denn man
als es darum ging, Geld zu ma- und nicht beachten muss wer muss den Menschen auch Per-
chen mit einem Impfstoff, we- neben mir wohnt. Mein Gross- spektiven geben. Klar ist, dass
niger getan. Mittlerweile ha- vater hatte kein Pferd und kei- das generelle Risiko für eine
ben wir sechs verschiedene und nen Traktor und deshalb muss- Infektion jetzt noch immer re-
wirksame Impfstoffe der ers- ten wir jeweils ausleihen. Ende lativ hoch bleibt. Aber auf der
ten Generation, die zur Verfü- der 50er, Anfang der 60er Jahre anderen Seite ist die Locke-
gung stehen, was in dieser Situ- grassierte zudem in unserer Re- rung gesellschaftlich auch ein
ation ein gutes Ergebnis ist. Was gion die Maul- und Klauenseu- Gewinn. Das soziale Gewebe
jetzt wichtig ist: Bei der Zweit- che, da gab es auch Restriktio- und damit die Öffnungen tra-
generation der Impfstoffe müs- nen in den Dörfern. Man durfte gen und prägen auch die Wirt-
sen die Mutationen mit einbe- nicht einfach in den Stall des schaft und selbstverständlich
zogen werden. Da braucht es si- Nachbarn laufen, es hatte Des- auch alle unsere Lebenswel-
cherlich eine verstärkte Zusam- infektionsschleusen und Res- ten. Wichtig ist und bleibt, dass
menarbeit. Bei der Herstellung triktionen der Bewegung. Als man die elementarsten Regeln
des Impfstoffes hatte man nicht Bube hat mich das beeindruckt gegen die Ansteckung, die Dis-
gedacht, dass die erste Genera- und jetzt kommt das wieder zu- tanz und Hygiene weiter ein-
tion so gut ist. Hier ist jetzt die rück mit den Einschränkungen. hält. Ich kann mir gut vorstel-
Problematik der gerechten Ver- Ich war lange Leiter des Schwei- len, dass es auch bald so wie-
teilung gegeben. Wir wissen, zerischen Tropen- und Public der Konzerte gibt. Der «Pub-
dass der Impfstoff sicher und Health Instituts. Es war eine lic Health» Kontext ist wichtig,
wirksam ist. Was wir jedoch Freude und ein Privileg, dieses denn man sollte nicht Wirt-
noch nicht wissen ist: wie lange Bild: zVg. Schw. Tropeninstitut zusammen mit den Mitarbeitern schaft gegen Gesundheit abwä-
der Impfstoff wirkt. Wir kön- Marcel Tanner ist ein intimer Kenner der Verhältnisse in Afrika. Sein Wir- von einem Kleininstitut zu einer gen. In einem Public Health-
nen mit ziemlicher Sicherheit ken hat auch dort (positive) Spuren hinterlassen. weltweit grossen Institution auf- kontext gehören beide Aspekte
sagen, dass er mit Bestimmt- zubauen. Aus diesem Grund zusammen. Meine Botschaft
heit für zwölf Monate schützt. vielen schweren Erkrankungen zeigen muss. Nämlich, dass wir hiess meine Abschiedsvor- ist: In einer Krise fordert man
Es braucht sicherlich weiterhin vernommen und auch sehr viele weiterhin mit diesem Virus le- lesung «No Roots, No Fruits». nicht, in einer Krise arbeitet
die Impfung als Teil der Mass- Menschen verloren, die gestor- ben müssen, wie wir uns schüt- Wenn man nicht weiss wo man man zusammen. Ich will auch
nahmenbündel. Vielleicht sogar ben sind, aber es wurde einfach zen können und wie Herdenim- her kommt, weiss man nicht wo weitergeben, dass man nicht
eine Art «Boosting», eine Ver- nicht gemeldet. munität erreicht werden kann man hingeht. Da ich im Breite zu sehr den Kontrast zwischen
stärkungsimpfung nach einem und muss. Quartier aufgewachsen bin, war Wissenschaft, Gesellschaft und
Jahr oder später. Wie viel Respekt haben Sie vor ich viel am Rhein spazieren. Politik sehen darf. Wenn wir
weiteren Covid-Mutationen? Sie sind einst aus Basel in die Vor allem sonntags in der Sonn- zudem alle ein bisschen be-
Die Meinungen gehen weit aus- Die Mutationen gibt es immer Welt gezogen, um zu helfen, zu tagsbekleidung mit meinem Va- scheidener werden und erken-
einander bei diesem Thema. Sie und mittlerweile wurden Hun- forschen… – was verbindet Sie ter zusammen und da hat es am nen, dass wir nur miteinander
haben ja auch schon skurrile derte entdeckt. Nur sind nicht noch mit der Region? Rhein diese Fischergalgen und weiterkommen, jede und je-
Geschichten in Ihrem Schaffen alle relevant, weil viele nicht so Ich bin im Breite Quartier auf- ich hatte vor drei Jahren das der einfach sein Wissen und
erlebt... gefährlich sind. Hier geht es da- gewachsen. Ich habe als Junge Glück, dass ich nun so einen Erfahrungen einbringt und wir
Ja, in Tansania beispielsweise rum herauszufinden, wie sich sehr viel lernen dürfen. Meine Fischergalgen erwerben durfte. miteinander lernen und damit
hat der Präsident gesagt, man eine Mutation verhält, sei es Grosseltern hatten im Basel- Mit diesem hat sich jetzt auch Verbesserungen erzielen, dann
habe viel gebetet und somit biologisch und pathologisch im biet einen kleinen Bauernhof. der Kreis geschlossen, denn es wird alles sehr viel besser. Das
kein COVID. In einem Jahr Wirt. Gefahr besteht, wenn man Dort habe ich in den 50er Jah- ist wie ein Heimkommen. habe ich vor allem in armen
hatte Tansania 570 Fälle ver- Veränderungen feststellt. Verän- ren bereits gespürt, dass man Ländern in Afrika und Asien
meldet und 20 Todesfälle. Das derungen an diesem sogenann- nur vorankommt, wenn man Wie empfinden Sie die neu- lernen dürfen.
hiess aber trotzdem nicht, dass ten Stachelprotein, im Fachjar- miteinander Probleme ist und esten Lockerungen in der Re-
es in Tansania kein COVID gibt. gon «Spike Protein». Das ist das, so postiv aufeinander angewie- gion Nordwestschweiz? JoW, DaC
In meinem ganzen Arbeitsbe- was man meiner Meinung nach sen ist. Heutzutage sind wir in Wichtig ist das Abwägen, was
kanntenkreis haben wir von den Menschen immer wieder einer Situation, wo jeder prak- man machen muss in einer