Page 2 - Mittelland Woche West - KW 23 - 2024
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SEITE 2 DIENSTAG, 4. JUNI 2024
«Die sozial schwächere Bevölkerung wird benachteiligt werden»
Dr. Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverban- vid – junge Menschen sind ver-
des erklärt, wieso die Initiative «Für tiefere Prämien – Kos- unsichert und suchen den Arzt
tenbremse im Gesundheitswesen» schädlich und gefährlich für schneller auf. Das Covid-Syn-
unser Gesundheitssystem ist. Mit dieser Initiative wird an der drom schädigt die Blutgefässe.
falschen Schraube gedreht und sie führt zu langen Wartezeiten Dann kommen neue Leistun-
und garantiert eine Zweitklassenmedizin. gen, die kassenpflichtig wer-
den. Neue, teure Medikamente
Sie waren rund 30 Jahre lang mehr Ausgleich, weswegen die ersetzen billige, alte Substan-
Facharzt FMH für Endokrinolo- hohen Arbeitspensen, die frü- zen. Ein wichtiger Faktor ist
gie und Diabetologie sowie In- her geleistet wurden undenk- auch die Administration, die in
nere Medizin und sind seit rund bar geworden sind. einer hausärztlichen Praxis 20
einem Jahr im Ruhestand. Wie bis 30 Prozent der Arbeit aus-
hat sich die Gesundheitsbran- Die Diskussion um die Finan- macht.
che in den letzten zehn Jahren zierbarkeit des Gesundheits-
verändert, welche Beobach- wesens werden halbherzig ge- Welche Folgen hat die Kosten-
tungen haben Sie gemacht? führt, weil zu viele zu gut vom bremse-Initiative für das Ge-
Dr. Jürg Lareida: Da gibt es System leben. Was braucht sundheitspersonal, respektive
viel zu erzählen: In den letz- es, um den gordischen Knoten für die Hausärzte?
ten zehn Jahren wurde sehr durchzuhauen? Der Druck auf die Taxpunkt-
vieles reguliert. Die steigen- Wenn andere Sozialwerke an- werte wird steigen. Viele The-
den Gesundheitskosten führ- dauernd ausgebaut würden, rapien und Abklärungen wer-
ten zu einem Aktivismus der würden dort die exakt gleichen den nicht mehr rentabel sein
politischen Strukturen. Dies Diskussionen entstehen. Das und deshalb nicht mehr er-
betrifft nicht nur die ärztliche beste Beispiel ist die 13. Rente. bracht werden können. Der
Praxis, sondern auch Apothe- Man will Leistungen gewähren, Hausarztberuf wird noch weni-
ken, Pharmaindustrie, usw. So diese sollen jedoch von den an- ger attraktiv werden. Das Lohn-
werden immer wieder zentra- deren bezahlt werden. Im Ge- niveau wird sinken, respektive
listische Eingriffe in das Tarif- sundheitswesen ist es genau der Staat muss neue Subventio-
system gemacht, welche kaum gleich. Man will immer mehr nen einführen.
Einsparungen bringen, aber die Leistungen, diese dürfen aber
Administration in allen Berei- nicht mehr kosten. Das neueste Wie steht es mit der Vorlage,
chen erhöht. Der letzte diesbe- Beispiel ist die Psychotherapie welche Chance hat sie, an der
zügliche Fehlgriff war die Zu- durch Psychologen. Bild: zVg Urne verworfen zu werden?
lassungssteuerung. Nicht nur Dr. Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes, spricht sich klar Ich erwarte eine Ablehnung
die Leistungserbringer haben Wie können Qualität der medi- gegen die schädliche Kostenbremse-Initiative aus: «Um die Kosten zu stabili- und bin dankbar, wenn sie ent-
mehr Aufwand, nein auch Kan- zinischen Versorgung und die sieren, braucht es Vertrauen und Konsens.» sprechend deutlich wird. Um
ton und Bund mussten neue Zugänglichkeit zu den Leistun- die Kosten zu stabilisieren,
Stellen schaffen. gen gesichert werden? tinuierlichen Anstieg auf poli- kerung wird benachteiligt wer- braucht es Vertrauen und Kon-
Das ist des Pudels Kern. Ver- tischer respektive gesetzli- den. Das liegt nicht in unserem sens. Beides fehlt im Moment
Sie verfügen über 30 Jahre Er- besserung der Qualität führt zu cher Ebene stoppen. Ist dies Interesse. leider.
fahrung in Ihrem Beruf und Senkung der Kosten. Die Fach- aus Ihrer Perspektive als ehe-
kennen die Gesundheitsbran- gesellschaften arbeiten an Pro- maliger Aargauer Hausarzt der Wieso steigen denn die Prä- Interview: Corinne Remund
che. Wie effizient ist die Aar- jekten der «smarter Medicine». richtige Weg? mien respektive die Gesund-
gauische Gesundheitsversor- Sie verhindern unnötige Ab- Nein, das ist aus diversen heitskosten jährlich so massiv?
gung und wo liegen die grossen klärungen und Eingriffe und Gründen der falsche Weg, da Es gibt viele Gründe. Erstens
Herausforderungen? verbessern die Indikations- der Hebel nicht am richtigen steigen die Prämien stärker als NEIN-Komitee
Angesichts der stagnierenden qualität. Hinsichtlich Zugäng- Ort ansetzt. Kostenbremse die Kosten. Dann werden im-
Tarife mussten die Leistungs- lichkeit der Leistungen müsste tönt schön, die Frage ist jedoch mer mehr Leistungen verlangt, Bis heute gehören dem Ko-
erbringer ihre Effizienz verbes- dringend definiert werden, was an welcher Schraube gedreht in der Schweiz gibt es nur kurze mitee folgende Organisatio-
sern. Heute besteht ein sehr ef- wirklich notwendig ist. Nicht wird. Wenn die vergüteten Wartezeiten. Dann verbessert nen an:
fizientes System, Leistungen jede machbare Therapie oder Leistungen weiter zunehmen sich die Behandlung. Die Le- • Schweizerischer Ver-
werden speditiv und qualita- Abklärung ist auch sinnvoll. – was auch bei Annahme der benserwartung steigt auch für band der Berufsorga-
tiv hochstehend erbracht. Das Kostenbremse geschehen wird kranke Menschen stark an und nisationen im Gesund-
hat jedoch seinen Preis. Wenn Kommen wir zur Initiative – bleibt nur den Preis zu sen- ihre Lebensqualität wird ver- heitswesen (svbg)
nun vorwiegend die Kosten im «Für tiefere Prämien – Kos- ken. Das führt zu langen War- bessert. Das geht jedoch nicht • Spitex Schweiz
Fokus stehen und gesenkt wer- tenbremse im Gesundheitswe- tezeiten und mit jeder Garan- ohne Behandlung. Dann hat die
den sollen, geht das nur mit sen», worüber wir am 9. Juni tie in die Zweiklassenmedizin. Covid-Pandemie zu dramati- • Haus- und Kinderärzte
gleichzeitigem Qualitätsver- abstimmen. Sie will den kon- Die sozial schwächere Bevöl- schen Folgen geführt: Long Co- Schweiz (mfe)
lust. Dies zu verhindern muss • Schweizer Berufsver-
höchste Priorität haben. Ein band der Pflegefach-
weiteres grosses Problem stellt frauen und Pflegefach-
die Grundversorgung dar. Im- männer (SBK)
mer mehr Leute wollen mehr • Verbindung der Schwei-
Leistungen, das Angebot kann zer Ärztinnen und Ärzte
jedoch nicht mithalten, sodass (FMH)
in Zukunft Grundversorger feh- • Schweizer Physiothera-
len werden. Das verteuert das pie Verband (Physios-
System. Es ist deshalb wichtig, wiss)
die Grundversorgung zu stär-
ken. Der neue Arzttarif Tardoc • Foederatio Medicorum
geht in diese Richtung, die Er- Chirurgicorum Helvetica
höhung des Taxpunktwertes (FMCH)
hilft ebenfalls. • Schweizer Dachverband
der Ärztenetze (meds-
In welche Richtung entwickelt wissnet)
sich unser Gesundheitswesen, • Die Spitäler der Schweiz
im Speziellen die Hausarztpra- (H+)
xen? • Schweizerischer Apo-
In der hausärztlichen Versor- thekerverband (pharma-
gung wird die Entwicklung zu Suisse)
Gemeinschaftspraxen weiter-
gehen. Die Einzelpraxis ist • Schweizerisches Konsu-
nicht mehr attraktiv, auch mentenforum (kf)
wenn sie sehr effizient wäre.
Die Feminisierung der Medi- Bild: pixabay www.nein-zur-
zin ist weit fortgeschritten, die Der Versicherungsschutz wird mit der Kostenbremse-Initiative ausgehöhlt: Nur wer es sich leisten kann, wird in Zu- kostenbremse.ch
jüngeren Generationen wollen kunft jederzeit gut versorgt.