Page 3 - Berner Nachrichten Zentrum Ost - KW 48 - 2020
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DIENSTAG, 24. NOVEMBER 2020 SEITE 3
FORTSETZUNG
Gemäss Ihnen ist das Budget-
defizit von 41 Millionen Franken
gegenüber den Berner Bewoh-
nerinnen und Bewohnern, aber Mit spitzer Feder …
auch den zukünftigen Genera-
tionen schlicht unverantwort-
lich. Wie kann das Berner Bud- Wieso Sie gerade
get wieder ins Lot gebracht wer-
den?
Ich komme aus einer privaten jetzt einen Baum
Unternehmung und bei uns ist
ein Budget im Minus nicht mal umarmen sollten!
ein Gedanke wert. Klar möchte
ich dies nun nicht mit meiner
Situation im Beruf vergleichen, In Zeiten von Corona gibt es we- Mitgefühl am liebsten und leichtes-
aber es widerstrebt mir als Be- der Händedruck noch Küsschen. ten durch Berührungen. Die Pan-
triebswirtschafter eine rote Zahl Bild: pixabay Berührungsverbot, Besuchsver- demie führt allerdings dazu, dass
zu sehen. Eine Stadt kann nicht Bern soll wieder vermehrt positive Schlagzeilen machen! bot, Distanzgebot – der eindringli- wir das In-Berührung kommen mit
über ihre Verhältnisse leben, che Appell des Bundesrates lautet unseren Mitmenschen – dazu ge-
schon gar nicht in der aktuel- Gewerblern der Schuh und wie ins Lot kommt, welches für die «Vermeiden Sie Kontakte». Am bes- hören zum Teil auch unserer Liebs-
len Situation mit Covid. Wir ha- kann man ihre Rahmenbedin- zukünftigen Generationen trag- ten sollten wir ganz zu Hause blei- ten – als etwas Gefährliches anzu-
ben die Sorgfaltspflicht, ein aus- gungen verbessern? bar ist. Es ist ökonomischer Un- ben und wenn wir doch mit jeman- sehen. Wir sind nun in einer Phase,
geglichenes Budget zu präsen- Weniger Gebühren, weniger sinn, in einer so schwierigen dem in Kontakt kommen müssen, in der wir «Berührung und Nähe»
tieren und alle nötigen Mass- Vorschriften und Kontrollen Zeit wie jetzt ein solches Defi- dann bitte mit mindestens zwei Me- mit «Gefahr und Angst» verbin-
nahmen einzuleiten, dass dies und mehr Eigenverantwortung, zit zu planen. In keiner Firma ter Abstand. Dies führt dazu, dass den. Doch alles hat zwei Seiten:
erreicht werden kann. Zudem Steuerliche Anreize für Firmen, würde man so budgetieren dür- wir uns zum ersten Mal bewuss Wir können so zwischenmensch-
dürfen wir nicht vergessen, was die Lehrlinge ausbilden oder fen. Meine Grossmutter hat im- werden, wann und wie häufig wir liche Berührungen neu zu schät-
uns im nächsten Jahr wegen Co- Menschen mit einer Beeinträch- mer gesagt «man kann nur so andere Menschen eigentlich ne- zen lernen. Wir realisieren so, wel-
rona unter Umständen noch er- tigung einstellen oder Leute über viel Geld ausgeben, wie man zur benbei berühren – gerade, weil wir che Menschen uns besonders na-
warten kann. Im dümmsten Fall 60. Die Klein- und Mittelbetriebe Verfügung hat». Unsere Stadt hat es eben nun vermeiden müssen. hestehen, da wir eben diese gerne
wäre das Defizit noch viel höher. KMU sind mitunter ein Gesicht wohl keine Grossmutter. Oder Vor Corona waren für die meisten einmal wieder in die Arme nehmen
Es liegt mir fern, alles besser zu unserer Stadt, sie beleben uns, wie mein Vater immer sagte. zwischenmenschlichen Berührun- würden. Ebenso erfahren wir in
wissen oder zu beurteilen, wie finanzieren uns und sind auch «Schaff und erwirb, zahl Steuern gen eine Nebensache, worüber sie dieser «Abstandsphase» hautnah,
man das Berner Budget ins Lot ein Vermarktungsmittel für die und stirb». Für mich kann und sich nicht gross Gedanken mach- dass Berührungen ein menschli-
bringen kann, dazu müsste ich Stadt Bern. Es ist eben nicht nur darf das nicht das Motto einer ten. Indessen gibt es Menschen, ches Grundbedürfnis sind. Oder
den Budgetplan sehen und vor ein Nehmen, es ist auch ein Ge- Regierung sein. die erleichtert sind, den bisherigen anders ausgedrückt: Der Abstand
allem muss man die Verwaltung ben. Umgangsformen zu entkommen, lehrt uns Nähe.
einbeziehen und die guten Spar- Sie grüssen die Leute nicht erst da sie Händeschütteln oder Umar- Auch die Corona-bedingten digi-
ideen bei den mehreren Tau- Die Verwaltung in Bern hat noch im Wahlkampf. Respekt ist Ih- mungen und Küsschen nie moch- talen Interkationen können ein Zu-
send Mitarbeitenden der Stadt Luft nach oben. Sehen Sie das nen sehr wichtig – gerade auch ten – und eben nur mitmachten, sammensein im «real Life» niemals
Bern einholen. Aber grundsätz- auch so? in der Politik. Wie steht es um weil es sich um ein gesellschaftlich ersetzen. Diese Alternativen sind
lich gilt, ich kann nicht mehr In jeder Verwaltung (Bund, Kan- das politische Klima, welche Be- etabliertes Ritual handelte. Ich ge- ein Trost, aber kein Ersatz. Sie hin-
ausgeben als ich habe. Wenn ich ton und Gemeinde) hat es noch obachtungen machen Sie da? höre in diese Gruppe Menschen. terlassen ein unbestimmtes Gefühl
schon weiss, dass es schwierig Luft nach oben. Die Verwaltung Jede und jeder kann eine gute Ich mag nicht, wenn man(n) mir zu von Leere und Unzufriedenheit.
wird, dann gebe ich sicherlich ist in den letzten Jahren über- Idee haben und diese muss man nahekommt. Schon immer habe Berührungen schafft Nähe und Si-
nicht mehr aus. Das macht nie- mässig gewachsen und es wur- umsetzen. Wer Menschen nicht ich mich gefragt, wieso ich bei je- cherheit, sie stärkt die Liebe, sie
mand. Man muss auch vermehrt den neue Stellen geschaffen, als mag, sollte nicht in die Politik der Gelegenheit die halbe Welt ab- stärkt die Resilienz, das Immunsys-
wieder mit gesundem Menschen- man schon längst hätte erken- einsteigen. Ich bedaure, dass küssen und umarmen muss. Die- tem und das allgemeine Wohlerge-
verstand planen und projektie- nen müssen, dass sich die Ein- durch Social Media zu oft ein ses Begrüssungsritual, zum Teil hen. Darauf sollten wir auch in Zu-
ren, für Luxuslösungen gibt es nahmen reduzieren werden. Ge- links-rechter Graben geöffnet fremde oder auch Menschen, die kunft nicht verzichten.
keinen Platz mehr. rade rund um das Thema Digita- wird. Wenn wir so weiterpoliti- ich weniger gut kenne gleich in die Momentan müssen wir uns al-
lisierung hinkt die Stadt gewaltig sieren, verliert die Mitte an Trag- Arme schliessen zu müssen, ging lerdings mit Luftküsschen, ei-
Bern braucht bezahlbaren hinten nach. Es ist eines der vor- kraft, und wir haben ein System, mir immer schon gegen den Strich. nem herzlichen Lächeln hinter der
Wohnraum und muss den Platz dringlichsten Themen unserer wie wir es aus den USA kennen. (Fremde) Bartstoppeln an meiner Maske und strahlenden Augen-
in Bern noch viel effektiver aus- Stadt im Umgang mit den Kun- Das wiederum finde ich persön- zarten Haut, unerträgliche Duft- kontakten begnügen – aber das
nutzen. Wie würden Sie da vor- den – nämlich dass wir digitale lich nicht ideal, weil es nicht botschaften von Mundgeruch über ist doch auch viel Wert, solange es
gehen? Lösungen auf den verschiedens- nachhaltig ist. Die gelebte De- Schweiss bis hin zu abgestande- von Herzen kommt.
Man muss es ermöglichen, dass ten Ebenen anbieten. Dies gibt mokratie unseres Landes ist un- nem Parfüm und kaltem Rauch so- Hier noch ein persönlicher Tipp zur
man bei Umbauten Dachstö- der Stadt Bern ein modernes Ge- antastbar. wie Schweisshände und eine Wolke aktuellen Lage: Haben Sie schon
cke ausbauen kann und Liegen- sicht und lässt nicht den Amts- flockiger Haarschüppchen – alles einmal einen Baum umarmt? Nein?
schaften modernisieren darf. Es schimmel wiehern. Ebenfalls Was wünschen Sie sich für die schon erlebt – sind einfach eklig Sollten Sie aber. Die wohltuenden
ist mir ein Rätsel, wieso man muss erkannt werden, dass der Zukunft der Bundeshauptstadt? und eine Zumutung. Ich kam immer Effekte der Natur und speziell des
bei den heutigen teuren Land- Kunde – sprich der Steuerzah- Dass Bern wieder vermehrt mit öfters ins Dilemma: Denn die Teil- Waldes sind in Japan schon lang
preisen nur 5-stöckig baut. Das ler – die Löhne bezahlt. Nur da- positiven Schlagzeilen von sich nahme an solchen Ritualen wird er- bekannt und führten zur Einführung
macht die einzelnen Wohnungen durch wird der Kunde auch zum reden macht, im Kanton Bern wartet, und wer sich dem entzieht, des sogenannten «Waldbadens».
teurer. Man muss den Raum op- König. Was mich immer wieder und auch national. Bern hat gilt als seltsam und läuft Gefahr, Dabei handelt es sich um eine Na-
timal ausnützen und halt auch irritiert, sind die Öffnungszei- sehr viel zu bieten, aber wir ha- aufgrund dieses Verhaltens aus- turtherapie, die auch in Europa im-
höher bauen. Dies senkt dann ten. Es ist ja nicht nur in Bern ben oft Angst darüber zu spre- geschlossen zu werden. Nun, Co- mer populärer wird. Waldbaden
die durchschnittlichen Kosten so, aber wir müssen den Kunden chen, dies zu präsentieren oder rona hat das Problem für mich ge- betont die Verknüpfung des Wald-
pro Wohnung. Es muss auch in den Fokus nehmen und von entsprechend aufzutreten. Da- löst – endlich! Und es ist momen- spaziergangs mit Achtsamkeit. Das
nicht immer alles luxussaniert ihm lernen, was er braucht, wie bei geht es mir nicht darum tan eine wahre Wohltat – niemand heisst, Sie sollen sich darauf kon-
werden, es gibt viele Leute, die er es braucht und auch wann. grosse Geschichten zu schrei- kommt mir zurzeit zu Nahe. Nie- zentrieren, den Wald mit allen Sin-
ziehen günstigen Wohnraum vor. Dies ermöglicht die richtigen in- ben – aber steter Tropfen höhlt mand schaut blöd, wenn ich mich nen zu spüren und wahrzuneh-
Mit einem verdichteten Bauen novativen, digitalen Schritte zu den Stein. Wir haben es in den weigere abgeküsst oder umarmt zu men. Dazu zählt auch, Pflanzen zu
im überbauten Gebiet wird er- machen. Am Ende des Tages ent- letzten Jahren verpasst, dass wir werden, ich muss keine Ausreden berühren und Bäume zu umarmen.
möglicht, dass Naherholungsge- schlacken wir dadurch die Ver- unseren Platz auf der Schwei- mehr suchen oder gar vortäuschen, Ich habe es kürzlich selber aus-
biete noch lange erhalten blei- waltung und senken Kosten. zer Landkarte mit einem dicken ich sei erkältet. probiert – und es hat funktioniert!
ben. Aus diesem Grunde lehne Ausrufezeichen begleitet sehen. Etwas anderes sind Berührungen Bäume haben eine heilende Wir-
ich es auch ab, dass im Wald Sie bezeichnen sich als Steuer- Es fehlen die spannenden An- im engsten Kreis. Hier zeigt uns kung auf unsere Seelen. Ihre Kraft
gebaut werden soll (Stichwort: und Sparfuchs für Bern. Was lässe, die innovativen Ideen, die die gegenwärtige Lage wie wich- und Energie sind einfach überwälti-
Waldstadt), oder dass man we- heisst das konkret? positive Kommunikation. Mir tig zwischenmenschliche Berüh- gend, wir strömen direkt zurück zur
gen dem Bau der geplanten BLS- Ich habe gerne mit Zahlen zu tun kommt es oft vor, als wären wir rung ist. Denn Berührungen kön- Natur. Probieren Sie es aus – es tut
Werkstätte massivste Eingriffe in und habe schon in der Schule am Einschlafen und nur noch nen auf nonverbalen Ebene Emo- einfach nur gut.
die Natur vornimmt. lieber Rechnungsaufgaben gelöst am Verwalten. Hoffentlich wird tionen und Stimmungen viel direk-
statt Sport gemacht. Mein Ziel ist der 29. November 2020 auch zu ter vermitteln, als dies mit Worten Herzlichst,
Sie machen sich auch für die es, so zu sparen, dass die meis- einem Weckruf. üblich ist. Wir Menschen kommu- Ihre Corinne Remund
Gewerbetreibenden in der Stadt ten Leute es gar nicht merken, nizieren insbesondere Liebe und Verlagsredaktorin
Bern stark. Wo drückt bei den aber dass die Stadt Bern wieder Interview: Corinne Remund